Innehalten oder: Vom Glück des perfekten Moments

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Schriftzug "you here" auf rotem Hintergrund - Blogpost Karen Hartig

Zeitnot, Druck, Deadline und Megastress? Sie wissen schon nicht mehr, wo Ihnen der Kopf steht? Kurzes Innehalten hilft! Wie Sie sich kleine Inseln der Ruhe schaffen und frische Geisteskraft tanken, erfahren Sie hier: Ein Plädoyer für die Atempause!

Es war einer dieser Tage.
Jeder kennt sie, auf die ein oder andere Weise: Ein volles Programm, das abgearbeitet werden muss, dazu Mails, Telefonate, unvorhergesehene Störungen. In meinem Fall ging es um eine umfangreiche Dokumentation mit verbindlicher Deadline.

Schon beim ersten Kaffee war klar, dass dieser Tag hier wenig mit „Flow“ zu tun haben würde. Inspiriertes Schaffensglück, während man Berge charmefreier Excel-Daten durchwühlt? Wohl kaum. Eher ein Tag, an dem man sich wie ein Bagger durch ein gigantisches Pensum frisst, vorwärts, geradeaus, konzentriert.

Zweiter Kaffee, ich fing an zu arbeiten. Und arbeitete. Dass das Gehirn nach 90 Minuten einen Konzentrationshänger hat und wenigstens mal zwei Minuten Pause braucht; dass man sich zwischendurch immer mal wieder kurz die Beine vertreten sollte, wenn man über Stunden nur sitzt – das predige ich als Coach ja mit Leidenschaft. Und tue es im Normalfall automatisch. Weil zwei kurze Minuten des Innehaltens und Durchatmens den Kopf frei und frisch machen, weil damit auch mein Körper wieder Energie bekommt.

Arbeiten mit Tunnelblick und viel zu viel Kaffee

Aber es war eben einer dieser Tage. Und Mentalcoaches sind zum Glück auch nur Menschen: Manchmal tun sie einfach nicht, was sinnvoll oder gesund wäre. Sondern trinken eine Tasse Kaffee nach der anderen, schlingen nebenbei Nutellabrötchen herunter und lassen jede Pause aus, nur um schneller voranzukommen. Im Grunde arbeitete ich wie eine Maschine, um die Doku auf Biegen und Brechen abzuschließen. Völliger Irrsinn natürlich! Kein Mensch kann sich ohne Atempause acht Stunden am Stück konzentrieren.

Der Tag verging, die Stunden rauschten nur so durch. Jede aufkommende Mattigkeit im Kopf ignorierte ich mit großer Strenge und verschärfte statt dessen meinen Tunnelblick. Und dann lag da auch noch dieser wichtige Brief, der unbedingt zur Post musste. Um 18:45 Uhr klappte ich den Laptop zu: Schnell jetzt, das war noch zu schaffen!

Ich eilte aus der Wohnung, eilte aus dem Haus, auch in meinem Kopf eilte alles weiter. Noch sechs Minuten bis zur Briefkastenleerung. Von der Straße nahm ich nichts wahr. Nichts von der Welt um mich herum, nichts von den Menschen, denen ich begegnete, nichts von dem zauberhaften Sommerabend, der gerade dazu ansetzte, die Stadt in orangefarbene Milde zu tunken.

Plötzlich knallte das Leben in meinen Kopf

Und dann kam ohne Ankündigung der Flash des Erwachens: Irgendwo über mir spielte jemand bei geöffnetem Fenster Bachs Goldberg-Variationen.
Ein Flash – und das Leben, das echte wirkliche Leben knallte in meinen abwesenden Kopf. So laut und rauschend, als wäre ich aus den Tiefen des Ozeans aufgetaucht.

Stop. STOP. Ich blieb stehen. Was tat ich da eigentlich???

Das war doch Wahnsinn, wie eine Menschmaschine durch ein abstraktes Tageskontingent namens „Zeit“ zu rasen, welches sich lediglich definierte durch ein Pensum und eine Deadline (allein das Wort, „tote Linie“!) und ohne die geringste Verbindung zu allem, was mit Leben zu tun hatte – – –

So fiel ich ins Jetzt. In einer kleinen Kölner Nebenstraße, durch die ich schon tausendmal gegangen war. Gemütliche Altbauten, Lindenbäume in sattestem Sommergrün, direkt neben mir eins dieser Guerilla-Beete, wo es in allen Farben wucherte. Und über mir in dem Haus, vor dem ich zum Halten gekommen war, spielte jemand Bach. Schwerelos funkelnde Schwingung in G-Dur.

Innehalten, atmen – im Jetzt sein

Und jetzt endlich tat ich das, was ich mir den ganzen Tag versagt hatte: Ich hielt inne. Lehnte mich mit dem Rücken an die Hauswand und tat nichts weiter, als zu atmen und zu sein. Übergangslos badete warmer Sonnenschein meine Schultern, im Guerilla-Beet neben mir neigten sich pralle blassblaue Hortensienbälle einem Busch mit tiefdunklen Rosen entgegen, ich sah Lichtspiegelungen auf Fensterscheiben, die vielfach gezackten Schatten, die der Rittersporn warf – und war völlig aufgehoben in diesem Moment, der keinen Namen trug außer JETZT.

Es war ein Moment absoluter Vollkommenheit.

Ganz sachte verklang das Klavier. Im Nachhall des letzten Akkords roch ich ganz geruhsam an der Hortensie. Schwelgte im Duft der Rosen. Und schlenderte weiter zur Post. Alles war nun anders. Ich sah Menschen, hörte ihre Gespräche, roch den Duft der Bäckerei an der Ecke, das lebendige Leben strömte wieder in mich hinein. Ja, die Leerung des Briefkastens verpasste ich um fast eine halbe Stunde. Und doch schaffte ich meine Abgabe locker. Alles war gut so, wie es war.

Kurzes Innehalten verschafft Zeit

Was ich Ihnen mit dieser Geschichte sagen möchte?
Halten Sie regelmäßig inne. Und warten Sie damit nicht, bis Sie überm Limit sind. Besonders dann, wenn der Stress am größten ist, wenn starke Zeitnot herrscht, wenn Sie nicht mehr wissen, wo Ihnen der Kopf steht – genau dann ist eine Mini-Atempause das Beste, was Sie für sich tun können.

Vielleicht denken Sie jetzt: „Ach du Schreck, wenn ich jetzt mitten im Stress auch noch Atemübungen machen soll, wird die Zeit ja noch knapper!“ Ich versichere Ihnen, in Wahrheit gewinnen Sie Zeit. Mit diesen zwei Minuten, in denen Sie das Tempo herausnehmen und buchstäblich wieder zu sich kommen, werden Sie produktiver und kreativer.

Also halten Sie inne. Stehen Sie auf vom Schreibtisch, atmen Sie ein paar Mal tief in den Bauch, atmen Sie doppelt so lange wieder aus. Mehr ist es nicht. Und wenn Sie dabei vielleicht noch lächeln – dann entsteht für Körper, Geist und Seele ein wohltemperierter Dreiklang.

In den Himmel zu gucken, entspannt auch die Augen

Wie Sie das nun machen, ist reine Geschmackssache. Manche Menschen legen gern eine Hand auf den Bauch, um ihre Atmung besser zu spüren. Mir selbst hilft es, ans Fenster zu gehen und in die Weite des Himmels zu gucken. In besonders angespannten Momenten denke ich beim Ausatmen zusätzlich das Wort „ruuuuhig“.

Sie können dabei auch die Augen schließen und das Ganze „Kurzmeditation“ nennen. Oder Achtsamkeitsmoment. Die Bezeichnung ist ganz egal.

Probieren Sie es einfach aus. Seien Sie gut zu sich. Besonders an einem dieser Tage….

Es grüßt Sie herzlich
Ihre heute sehr entschleunigte Karen Hartig

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(Titelfoto: Marion Michele/unsplash.com)

Kommentare 6

  1. …und manchmal, obwohl du eigentlich was anderes machen wolltest und auch überhaupt keine Zeit hast… rauscht ein Artikel in dein Mailfach, du denkst, ok, kurz anlesen und abspeichern für später… bist du fasziniert und kannst nicht aufhören mit lesen, weil du dich ertappt, angesprochen und soo verstanden fühlst… Danke für den wundervollen Artikel, der mich sofort gepackt und mit zur Post genommen hat und der mir so eine wertvolle kurze Auszeit gegeben hat!

  2. … Und an einem dieser Tage dank Bach zu sich zu kommen, sich und den Goldberg und allen anderen Variationen zuzuhören und trotz der Schönheit des Moments nicht zu klammern, das akkustische Wunder nicht festhalten zu wollen, die hellblaue Blume nicht pflücken zu wollen, obwohl dieses JETZT doch so erfüllend ist, viel schöner, besser, friedlicher, echter, voller, heller, wärmer, leichter als all die JETZTe davor – das ist fortgeschrittene Lebenskunst!

    Danke für diese Hartig-Variation in G(eh)-Dur!

  3. Es muss nicht Bach sein. Es muss nicht Musik sein. Eigentlich kann es alles sein: ein Blick, ein Geräusch, ein Sonnenstrahl, ein Blatt, eine Geste, ein Geruch, eine Farbe – wenn man einmal erlebt hat, wie ein Impuls zur rechten Zeit ein Ding um 180 Grad drehen kann, wird vielleicht beim nächsten „ich habe keine Zeit – ich muss noch unbedingt schnell“ empfänglicher, offener sein für die besonders wichtigen Impulse im Leben.

    Das haben Sie sehr schön und treffend beschrieben. Dankeschön.

  4. Liebe Karen,

    was für ein wertvoller und inspiriender Beitrag in dieser doch so schnelllebigen Welt!
    Es ist soooo wichtig, dass wir wieder lernen, innezuhalten und die besondere, wundervolle Stille in uns selbst (neu) erleben, die uns daran erinnert, wer wir wirklich sind und was wirklich wichtig in unserem Leben ist.
    Und obwohl viele zunächst denken: „wie soll das denn gehen“ bzw. „dafür ist nun aber wirklich keine Zeit“ – erleben alle dann das „Wunder“ – wie viel neue Energie sie haben, wie viel mehr Qualität im Leben und wie viel mehr Zeit 🙂

    Lieben Gruß und danke
    Bettina

  5. Liebe Karen,
    ich liebe Deine Texte! Warum? Weil sie das Leben spiegeln, weil sie so einfach wie wahr sind und weil Dein Schreibstil mich immer wieder aufs Neue aus den Angeln hebt! Wer bitte erdenkt sich charmefreie Exceltabellen und wo neigen sich pralle blaßblaue Hortensienbälle einem Busch mit tiefroten Rosen entgegen? Das ist wirklich Schreibkunst in meinen Augen. Und der Inhalt? Ich spüre die Enge in Deinem Arbeitswahn und ich spüre voller Glück, wie mt Bachs Goldberg-Variationen das Leben wieder durch Deine Adern fließt. Und freue mich auf meine nächste Atempause, die ich ab sofort in all mein Gerenne einbauen werde! Danke für den Impuls und den wie immer zauberhaften Text!!!
    Umarmung
    Renate

  6. Autor

    Wie kann ich meine Antwort anders anfangen als mit „Ach, meine Lieben…“ – ? Ich bin überwältigt, bewegt und voller Freude, dass mein Text euch so berührt hat. Dass er offenbar auch ein kleines Türchen zur Atempause geöffnet hat.

    Vielen Dank von Herzen für eure Kommentare und euren Input zum Glück des Moments! Das ist nicht nur gutes Leben, sondern ganz wundervolles! <3

    Bis bald wieder an dieser Stelle, Eure Karen

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