Melancholie ist das Vergnügen, traurig zu sein oder: Beobachtungen von der Enterprise

Karen HartigOhne Kategorie Leave a Comment

Blick auf die Erde von Bord Raumschiff

„Der Weltraum – unendliche Weiten. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise…“ so hörte man es damals Woche für Woche in der Originalserie und anschließend in den Filmen. Was wir aktuell hören, ist: Corona. Jeder geht damit um, so gut er/sie kann. Ich schreibe dagegen an, das liegt nahe: In all dem bedrohlichen Ernst, in all der Sorge braucht es auch mal Heiteres. Absurde Geschichten. Wie soll man das alles sonst aushalten? Ab und an berichte ich also Abseitiges aus dem Alltag an Bord des Raumschiffs … 

Tag 9, Logbucheintrag der USS Enterprise, Sternzeit Corona 24-3-20, Interims-Captain Hartig.

– – Habe Uhura und die Jungs weggeschickt, sollen sie doch Briefe schreiben oder Gälisch lernen oder im Unterdeck Kicker spielen. Ich bin allein auf der Brücke. Die Enterprise gleitet dahin, kein feindlicher Gegenverkehr, denn die Klingonen bereiten ihre jährliche Makramee-Meisterschaft vor. Kurzum: Im All herrscht Ruhe. Endlich kommt man mal zu sich. Ein anfänglich angenehmer Zustand, der sich jedoch, es lässt sich nicht verhehlen, ganz schön zieht, wenn man noch 17 Monate bis zum nächsten Landgang vor sich hat.

Ich esse eine Tüte Chips, höre ein bisschen R.E.M. („It’s the end of the world as we know it and I feel fine“) und schaue aus dem Fenster. Nostalgische Melancholie macht sich breit. Von hier oben sieht die Erde völlig normal aus. Groß und gleichzeitig winzig. Fragil. Und so schön wie immer. Ob ihr euch nah seid oder Abstand haltet, ob ihr drinnen seid oder draußen, ist von hier aus nicht zu erkennen, ich sehe nur Licht und Dunkelheit. Abstand verändert sämtliche Perspektiven.

„Sie krümeln, Commander“, meldet sich Uhuras Stimme so emotionslos aus dem Funkwellenemitter, als habe Spock ihr souffliert.

Ach, chill mal, Kollegin. Dass hier oben fast jeder fast alles mitkriegt, geht mir heute gewaltig auf die Commandersenkel. Diskret schiebe ich die Chipskrümel mit den Füßen unter den elektronischen Kommandotisch, lasse meine Gedanken driften und erlaube mir, meiner heimlichen Marotte nachzugehen. Diese habe ich bislang niemals publik gemacht, um nicht fürderhin den Bemerkungen von Spock oder, schlimmer noch, von Dr. McCoy ausgesetzt zu sein: Ich gehöre zu den Leuten, die im Kopf absurde Listen schreiben, wenn sie keine dringenden Aufgaben zu erledigen haben.

1. Liste berühmter Sätze, die ich in diesem Leben gern gehört hätte, aber niemand jemals zu mir sagte:

  • „Ich bin doch nur ein Junge, der vor einem Mädchen steht und es bittet, ihn zu lieben.“
  • „Isch scheiß disch so wat von zu mit meinem Geld!“
  • „Nimm den besten Orgasmus, den du je hattest, multipliziere ihn mal tausend, und du bist noch nicht mal nah dran!“
  • „Mein Name ist Winston Wolfe. Ich löse Probleme!“

2. Liste berühmter Sätze, die ich niemals hören wollte und zum Glück auch nie hörte:

  • „Der beste Freund eines Mannes ist seine Mutter.“
  • „Karen, heul leise!“
  • „Das Herz eines Mannes ist ein tiefer Ozean voller Geheimnisse.”

3. Liste mit berühmtem Satz, den ich tatsächlich hörte, aber abschlägig beschied (weil der Falsche ihn zitierte):

  • „Wie wär’s mit einem Drink bei mir? Ganz harmlos, keine halben Sachen, nur guter Sex!“

4. Schönster berühmter Satz, den ich tatsächlich hörte. Vom Richtigen.

  • “Sei still – du hattest mich schon nach dem Hallo.“

Hilfe, uns gehen die Vorräte aus!

Melancholie ist das Vergnügen, traurig zu sein. Ich schrecke hoch, denn nun taucht Spock auf der Brücke auf und sagt, ich solle mal kalt duschen, am besten sofort, und außerdem sei das süß-saure Auberginenkompott fast alle.

Ach du Schreck! Das bedeutet, in dieser Woche muss Uhura mit dem Raumgleiter runter auf den Planeten, Großeinkauf machen. Also einfach wird das ja nicht. Kaum einer weiß, dass aufgrund der Ressourcenlage im All die gesamte Besatzung vegan verköstigt werden muss. Wobei ich seit Jahren taktvoll übergehe, dass Uhura einen Thermomix in ihrem Schrank versteckt und nachts immer wieder an einem gebunkerten Schwarzwälder Schinken herumsäbelt. Kirk hat ein Space-Abo für die Zeitschrift „Beef“ und haut sich Samstags heimlich ein Steak in die Pfanne. Ach, ich will das gar nicht so genau wissen.

Ich sollte besser gleich mit der Einkaufsliste anfangen.

Bis die Tage, herzliche Grüße. Live long and prosper!

(Foto: Unsplash.com)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert