Kleine Abschiede, alles wird anders – oder nicht?

Karen HartigLife & the City, Ohne Kategorie 2 Comments

Logbucheintrag der USS Enterprise, Sternzeit Corona 17-3-20, Interims-Captain Hartig.
Jetzt erst recht!, sagte Lieutenant Uhura gestern Abend nach den Tagesthemen, woraufhin ich sie sofort zum Commander beförderte und Kirk und Picard wegschickte.

Ja, jetzt erst recht: Bis Ostern will ich hier jedem einzelnen Tag etwas Gutes abringen, egal wie geringfügig. Noch bin ich etwas melancholisch gestimmt, denn gestern Abend musste ich Zwangs-Abschied nehmen von meinem zweiten Wohnsitz, dem Neptunbad in Köln, in dem ich einen nennenswerten Teil meiner Freizeit verbringe. Sport für den Körper (heißt: hinfort mit Stress und Anspannung), die Sauna für Kopf und Seele, und wenn ich – gebenedeit von einem der himmlischen Aufgüsse mit Minze oder Basilikum-Orange – auf einer komfortablen Liege herumdöse, geht das Türchen zur Kreativität weit auf und es fallen mir ganze Romankapitel ein, wenn nicht die Weltformel.

Gestern Abend nun der letzte Abend vor der vierwöchigen Schließung. Also einmal noch richtig durchschwitzen, einmal noch Gewichte stemmen, bis sämtliche Muskeln brennen, einmal noch diesen paradiesischen babywarm-entspannten Zustand auskosten, der sich nahezu automatisch einstellt, wenn du erst 15 Minuten bei 85 Grad dörrst und dich anschließend in einen sehr kalten Pool tunkst.

Die Stimmung schmeckt nach Ratlosigkeit und Wehmut

Hüben wie drüben war deutlich weniger Betrieb als an einem „normalen“ Montag Abend, und ich desinfizierte die Griffe vom Ergometer sorgfältiger als sonst. In der Luft lag eine sonderbare Stimmung. Sie schmeckte nach Abschied, nach Trotz, nach Ratlosigkeit. Auf der Trainingsfläche ein versprengtes Häuflein derer, die wie ich körperliche Bewegung brauchen, um sich innerlich rund zu fühlen. Alle wollten ein letztes Mal ausgiebig rackern, und alle Gesprächsfetzen enthielten ausnahmslos die Passage „vielleicht machen sie ja auch früher wieder auf?“, aber immer schwang diese Ratlosigkeit mit, und es folgte dem Satz meistens ein Schulterzucken, mitschwingend die Ahnung: Vielleicht dauert es ja auch noch viel länger, bis wir wieder hier hineindürfen.
Bis wir uns wiedersehen.
Bis alles wieder normal ist.
Bis…
Ja, bis was?

Jemand hustet, du zuckst zusammen

Und dann der letzte Saunagang. Viren hassen Hitze, also kein Risiko. Das letzte Mal im warmen Außenpool liegen und in den weiten Abendhimmel schauen, während man buchstäblich zu sich kommt. Auf gar keinen Fall wollte ich in einen Aufguss; nicht dass ich zu Panik neige, aber in diesen Zeiten eng an eng in einer Kabine sitzen, in der eventuelle Viren dann auch noch zielgerichtet mit einem Wedelhandtuch im ganzen Raum verteilt werden – danke, lieber nicht.

So hatte ich die Sauna für mich allein, etwas später. Ich streckte mich auf dem Handtuch aus, es war still und schön und behaglich, aber ich konnte mich nicht richtig freuen. Das Holz, auf dem ich lag, auch das roch nach Abschied und Wehmut. Ein Mann kam herein und hustete leise, ganz kurz nur, es war eigentlich mehr ein Räuspern als ein Husten, aber ich zuckte sofort zusammen.

Einmal noch in den Pool und ein paar Bahnen schwimmen, einmal noch, es fühlte sich an wie „küss mich, als wäre es das letzte Mal“, und dabei überlegte ich, wie man ein Surrogat für etwas fabriziert, das sich nicht ersetzen lässt, denn womit will man Sauna ersetzen?, und natürlich kann man zuhause ein Body Workout machen, aber es ist lediglich ein armseliger Ersatz.

„Also bis in vier Wochen …?“

Die Menschen um mich herum standen in Grüppchen zusammen, und wo normalerweise dezent geflüstert wird, sprachen sie in ganz normaler Lautstärke, alles völlig egal heute Abend, und sie diskutierten, was nun werden würde, aber keiner wusste es, und manche gingen physisch auf Abstand, manche erst recht nicht, Marke „uns kann keiner“. Eine Spur Wehmut lag auch hier in der Luft und wieder diese Ratlosigkeit: Wann sehen wir uns wieder?, und sofort der Nachsatz: Also bis in vier Wochen, bleib gesund!

Wie lange wird meine Sporttasche wohl unterm Bett stehen? Ich glaube, sie kann als Indikator dienen: Wenn die Sportclubs wieder öffnen, die Kneipen und Kinos, dann haben wir das Schlimmste geschafft.

Leben in Zeiten von Corona. Lasst uns leben, lasst uns zuversichtlich bleiben. Und aufmerksam für die Menschen um uns herum. Live long and prosper, sagt der Vulkanier.

Herzliche Grüße, Ihre Karen Hartig

(Foto: Quelle Kristel Hayes | unsplash.com)

Kommentare 2

  1. Liebe Karen,
    Jetzt gibt es wenigstens etwas Gutes durch Corona: ich muss nicht mehr Wochen auf einen neuen Artikel von dir warten. Also bis morgen und Dankeschön.
    Bleibt gesund und liebe Grüße Carmen

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