Heißhunger und andere Gemeinheiten: Wie man bei einer Diät nicht einknickt

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Schlanke Frau in zu weiter Jeans - viel Platz am Hosenbund

Januar und Februar sind in Gewichtsfragen traditionell die Monate der Vorsatzumsetzung und, ja, gern auch der Vorsatzumsetzungsbrechung. Erst ein heiliger Schwur in der Silvesternacht oder zu Beginn der Fastenzeit. Ernste, fokussierte Disziplin, mit der hernach mageres Frühstück zubereitet und auf dem Ergometer mollige Pfunde wegbereitet werden. Bis es irgendwann passiert. „Es“, das ist der Heißhunger, und er springt uns am liebsten zu später Stunde an.

Man kann es leider nicht milder formulieren: 5 Kilo sind schuld, leidige 5 Kilo, dass ich meine Anzughosen nicht mehr zukriege. Das ist richtig übel. Aber wer monatelang eine intensive Liebesbeziehung mit Schokolade und Salt&Vinegar-Chips pflegt, dessen Hosen reichen halt irgendwann die Scheidung ein. Auch die ganz duldsamen mit Elasthan.

Also Trennung? Auf keinen Fall. Lieber soll er weg, der Winterspeck. Und wie bei vielen anderen Abnehmwilligen läuft der Start grandios. Abends viel Gemüse und wenig Kohlenhydrate. Keine Schokolade mehr, keine fluffig schmelzende Käseschicht mehr auf den Gnocchi. Keine Chips.

Wie bei fast allen Diäten ist der Beginn ein nahezu munteres Vergnügen. Zügig seilen sich die ersten zwei Kilo von meiner Taille ab. Und dann, Sie ahnen es schon, dann kommt der berüchtigte Abend, an dem „es“ passiert.

Heißhunger: Wie ferngesteuert geht’s zum Kühlschrank

Womit Diäten crashen, ist übrigens eine reine Typfrage. Manche Diäten verchipsen, manche zersnickern und manche verpizzen sich. Meine vereiste, sozusagen. Die Frage ist eben, warum?? Das Durchschauen jenes kritischen, meist spätabendlichen Zeitpunkts, an dem der Heißhunger seine Attacke reitet, ist tatsächlich der entscheidende Faktor, um künftig eben nicht einzuknicken.

Eine auf der Gabel aufgespießte Cocktailtomate: interessiert bei Heißhunger niemanden

Quelle: pexels / tookapic.com

Gehen wir den klassischen Crash-Ablauf einmal durch: Es ist etwa 21 Uhr. Man hat „Erlaubtes“ in ausreichender Menge gegessen und jede Menge Mineralwasser oder Tee im Bauch; eigentlich ist man einigermaßen satt. Aber wie aus dem Nichts meldet sich plötzlich eine innere Stimme: „Ach bitte, ich möchte noch etwas.“

Wie ferngesteuert steht man auf und geht geradewegs in die Küche, denn das namenlose etwas befindet sich unzweifelhaft im Kühlschrank.

Da steht man also bei geöffneter Kühlschranktür: Paprikaschote doof. Tomate doof. Magerquark doof. Das Schokoeis im Kühlfach hingegen, total cremig und durchmischt mit köstlichen Karamellfäden: ganz und gar nicht doof!

Keine Frage, DAS ist es, was fehlt. So etwas weiß man sofort.

Kapitulation und „War ja klar, du Null!“

Die Hand schon gefährlich nah an der Packung, geht augenblicklich der innere Alarm los: „Halt, das wird alles ruinieren! Stopp! Hebe dich hinweg von mir, Schoko-Attacke!!“

Ein kurzes Zögern – und Kapitulation. Selig-trotzig lässt man sich in die Arme der Verführung sinken. Nur um eine halbe Stunde später mit dem eigenen schwachen Willen zu hadern und sich expressiv zu hassen („Du Lusche. Wieder schwach geworden. Nie hältst du etwas durch. Das schaffst du nie, wieder in die graue Hose zu passen“).

Da jetzt ohnehin alles egal ist, verschärft man das Desaster mit einer zweiten Portion Eis, beschimpft sich erneut („War ja klar, du Null!“) und müht sich zum Abschluss in eine Art innere Versöhnung („Morgen ist ein neuer Tag. Und dann bleibe ich stark und diszipliniert und sage Nein. Omm.“)

Also was ist da passiert? Was genau geschieht im Moment der Kapitulation, wenn alle Abwehrsysteme zu Boden glitschen wie lauwarme Mascarpone? Und noch wichtiger: Wie kann man bei plötzlichen und schier unbezwingbaren Gelüsten dennoch Herrin der Lage bleiben?

Was beim Schwachwerden passiert? Ganz einfach: Wir hören uns selbst nicht zu.

Man könnte in solchen Momenten ja schwören, dass man das lautstarke Geschrei von genau zwei Stimmen vernimmt. Die eine krakeelt „Ich! Will! Eis!“, die andere „nein, bleib stark!“

Zwei Seelen, ach, in meiner Brust? In Wirklichkeit sind es viel mehr: Während Ihre Hand sich der Eispackung/Chipstüte nähert, geht in Ihrem Inneren eine Art Massendiskussion ab. Da überschlagen sich unterschiedliche Stimmen fast, um zu Gehör zu kommen, man muss nur mal genau hinhören. Und diese Stimmen sind sich mitnichten alle grün. Im Gegenteil.

Jede Stimme will, dass es Ihnen gut geht

Keine Sorge, weder sind Sie schizophren noch eine multiple Persönlichkeit. Was da in Ihnen herumdiskutiert, streitet, zetert, quengelt und schimpft, das sind unterschiedliche „Anteile“ in Ihrem Inneren. Jede dieser Stimmen hat eine Funktion. Jede Stimme möchte gehört werden.

Und wissen Sie was? Jeder diese Anteile möchte, dass es Ihnen gut geht, auf seine spezielle Weise. Deshalb das Palaver.

Alle zusammen bilden Ihr „inneres Team“. Das Persönlichkeitsmodell wurde von Friedemann Schulz von Thun, dem legendären Kommunikationswissenschaftler, als Metapher entwickelt. Andere nennen es inneres Parlament oder auch inneres Orchester. Die Frage „wer bin ich“ kann tatsächlich nur mit „ganz schön viele“ beantwortet werden.

Zurück zu dem Moment maximaler Versuchung am geöffneten Kühlschrank. Wenn es Ihnen gelingt, genau jetzt zu stoppen und nach innen zu horchen, sind Sie den entscheidenden Schritt weiter. Hör mal, wer da spricht!, darauf kommt es jetzt an. Aufs Bewusstwerden des Stimmengewirrs, so plastisch wie möglich. Und es kann hier gar nicht bunt und bildhaft genug zugehen!

Der innere Kleinkrieg am Kühlschrank

Ich erzähle Ihnen mal, was bei mir intern so los ist, wenn „wir“ am Kühlschrank stehen: Da wütet ein wahrer Kleinkrieg!

  • Als erstes verpasst mir mein innerer Kritiker einen miesen Tiefschlag. Den inneren Kritiker haben wir alle. Bei mir sieht er aus wie eine hagere Gouvernante (Marke Fräulein Rottenmeier aus „Heidi“). Sie kann nur zwei Dinge: mich schlechtmachen oder anherrschen. „Tzzz“, sagt sie spitz, „ich wusste es doch. Versagerin. Kannst nicht mal drei Kilo lang durchhalten.“
  • Die Speck-Fighterin hebt ermattet die Hand: „Gib mal Ruhe. Ich bin sooo müde. So viel Disziplin habe ich in den letzten zwei Wochen gezeigt, so viel Standhaftigkeit! Ich brauche echt ’ne Pause.“
  • Augenblicklich hält die Gouvernante dagegen: „Meine Güte, das bisschen Disziplin! Jetzt stell dich nicht so an.“
  • „Komm schon“, sagt der innere Coach beschwichtigend, „ich finde, eine kleine Belohnung zur rechten Zeit schadet nicht, sondern motiviert!“
  • „Ja, eine Belohnung, ich will was Süßes!“, heult das kleine Kind in mir los und wälzt sich auf dem Boden.
  • Nun winkt La Mamma, die dicke, allzeit liebevolle Mamma, mich gemütlich mit dem Kochlöffel heran: „Mein armes Kind, du musst endlich was essen. Ohne gutes Essen ist das ganze Leben doch nichts wert.“
  • Es mischt sich der vollständig humorlose Spaßverderber ein, der stets einen akkuraten Seitenscheitel trägt: „Immer dieser überzogene Anspruch auf Genuss“, sagt er schmallippig, „wer so disziplinlos war, muss eben leiden. Eine Diät ist Verzicht, das muss weh tun. Ist doch kein Ponyhof hier!“
  • Als letztes taucht Mrs. Smith auf, auch bekannt als Angelina Jolie aus „Mr. and Mrs. Smith“. Eigentlich ist sie meine Verbündete, wegen ihrer tollen Figur. „Hey, willst du echt den Titel Loser des Monats?“, murmelt sie, sichtlich enttäuscht.

Und in der Tat meinen sie es alle gut – jeder auf seine Weise, jeder nach seinem Bedürfnis, jeder aus seiner/ihrer eigenen Perspektive.

Rotes Schilf mit der Inschrift "No"

Quelle: Gemma Evans | unsplash.com

Sich selbst zuhören macht stark gegen Gelüste

Gelüste am Abend: Sind sie zu stark, bist du zu schwach? Nicht, wenn Sie sich selbst genau zuhören. Denn das macht Sie stärker als jede Verlangensattacke.

So also bleiben Sie Chefin im eigenen Haus und behalten das Kommando, auch wenn Ihre Willenskraft gerade schlappzumachen droht:

  1. Hallo, wer spricht?? Das ist es, was Sie rauskriegen sollten. Hören Sie sich selbst genau zu. Denn neben den Schreihälsen gibt es auch noch leisere Stimmen, nachdenkliche Stimmen, vernachlässigte Stimmen. Horchen Sie, forschen Sie, lauschen Sie. Vielleicht ist da noch eine liebevolle Elternstimme im Hintergrund oder ein mutloser kleiner Rebell?
    Ich empfehle unbedingt, den einzelnen Mitgliedern des inneren Teams eine Gestalt und/oder einen Namen zu geben. Sie kommen einfach VIEL leichter auf einen grünen Zweig, wenn Sie Ihr Scharmützel mit einem „gestrengen Fräulein Rottenmeier“ ausfechten statt mit einem gesichtslosen, diffusen Gedanken. Bilder sind es, die Kraft entwickeln – und da Ihr Unterbewusstsein in Bildern denkt, liebt es Bilder mehr als alles andere!
  2. Nun haben Sie also vier, fünf, sechs Stimmen entdeckt. Fragen Sie sie einzeln: „Was möchtest du, was brauchst du?“ Damit kommen Sie der guten Absicht und dem dahinterliegenden Bedürfnis auf die Spur.
  3. Das Wichtigste ist nun, sich kurz aus der gefährlichen Situation auszuklinken. Gehen Sie auf Distanz zu dem Palaver auf der inneren Theaterbühne und setzen Sie sich einen Moment in den Zuschauerraum: Das Gelärme, das sind ja nicht Sie!
    Lenken Sie sich ab, indem Sie z.B. fünf tiefe Atemzüge nehmen. Oder kurz auf den Balkon gehen. Oder Blumen gießen. Falls Sie weder einen Balkon noch Topfpflanzen haben, dann schreiben Sie eine SMS oder putzen Sie sich die Zähne. Auch Kaugummi kauen kann Wunder wirken; Hauptsache, Sie lenken Ihre Aufmerksamkeit vom Kühlschrank weg auf etwas anderes. Es ist nahezu garantiert, dass mit dieser Distanzierung der Jieper spürbar nachlässt.

Vom palavernden Haufen zum zufriedenen Team

4. Und wie wird nun aus dem palavernden Haufen ein zufriedenes inneres Team? Indem Sie jetzt die Regie übernehmen. Sie sind die Führungskraft im eigenen Haus, Ihr Ziel ist Harmonie, also kommen Sie ins Gespräch mit den Akteuren:

  • Gibt es vielleicht eine Lösung, die alle zufrieden stimmt?
  • Was könnte man dem müden Speck-Fighter anbieten, das ihm seine ersehnte Pause verschafft?
  • Was braucht Ihr innerer Kritiker, um endlich das Gemeckere einzustellen?

Kurze Zusammenfassung: wie man mit dem "inneren Team" bei einer Diät standhaft bleibtWie im wirklichen Leben funktionieren Kompromisse hier oft am besten. Und dann, wenn alle Stimmen wohlwollend gehört und beantwortet wurden, herrscht – fast wie Magie – von jetzt auf gleich angenehme Ruhe. Das so furchtbar anstrengende Gefühl von „Askese und Entsagung“ ist überwunden. Und dann haben Sie gewonnen.

Auf du und du mit seinem inneren Team zu sein, muss man allerdings ein wenig üben. Bis man die unterschiedlichen Stimmen wahrgenommen und identifiziert hat, braucht es Aufmerksamkeit und etwas Zeit. Es empfiehlt sich also, die Technik nicht gerade bei einem plötzlichen Appetit-Anfall vor dem Kühlschrank auszuprobieren, sondern zuvor und ohne akute Not.

Heißhunger? Am besten funktionieren Kompromisse

Aber sobald Sie den Dialog mit den inneren Stimmen einmal draufhaben, kann er Sie künftig in solchen Situationen retten. Und das Beste ist, er funktioniert bei allen Entscheidungsfragen Ihres Lebens, in denen Sie irgendwie „unentschlossen“ sind, bei denen Sie sich zwiespältig oder zerrissen fühlen. Sie lernen sich selbst dabei auch immer genauer kennen und besser verstehen.

Eine kleines Häufchen Gummibärchen

Quelle: pexels/pixabay

Auch meine innere Palaver-Bande und ich konnten uns auf einen sehr ordentlichen Deal einigen. Falls mich spätabends das Zuckermonster anfällt, kriegt es nun eins dieser Minitütchen mit Gummibären. 11,5 Gramm Zuckerzeug, ganz langsam gelutscht. Fräulein Rottenmeier lässt es schulterzuckend durchgehen, während die Kleine in mir strahlt und Angelina sagt: „Hey, you’re doing great, babe.“ Keine Entsagung, trotzdem auf dem richtigen Kurs und Regisseurin im eigenen Haus: Darauf doch ein Gummibärchen!

Liebe LeserInnen, und wie retten Sie sich bei Gelüsten, Heißhunger und akuter Einknick-Gefahr? Haben Sie das „innere Team“ vielleicht schon mal zum Selbstcoaching ausprobiert? Ich freue mich, wenn Sie mir in den Kommentaren etwas darüber erzählen!

Herzliche Grüße
Ihre Karen Hartig

(Mehr Lesestoff 1: Hier noch das Buch zum Thema mit ausführlichen Erklärungen und Anleitungen: „Miteinander reden, Band 3. Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation“ von Friedemann Schulz von Thun.

Mehr Lesestoff 2: Die ZEIT hat gerade ein tolles Lesestück über das Ändern von Gewohnheiten veröffentlicht: „Am liebsten würde ich damit aufhören, aber wie?“)

(Titelfoto: pexels.com/pixabay)

Kommentare 2

    1. Autor

      Liebe Annette Pitzer, herzlichen Dank! Und alle freuen sich, Fräulein Rottenmeier, Angelina… 🙂
      Liebe Grüße!

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